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19.08.2023 Hartha - Engerling + Monokel + Gonzalo + Andreas Diehlmann Band
Der zweite Tag des Festivals konnte diesmal mit der angekündigten Reihenfolge der eingeplanten Bands beginnen. Alle Musiker waren zu dem Konzert eingetroffen. Um ehrlich zu sein, warteten wohl die meisten angereisten Ostrocker und Ostblueser und eine Reihe mitreisender echter „Edelfans“ vor allen Dingen auf die beiden ostdeutschen Blues-Ikonen Bodag und Linke. Mit diesen beiden Ausnahmemusikern verbinden sich besonders viele Erinnerungen an legendäre „Engerling“- und „Monokel“- Konzerte. Ich sah schon so manches begeisternde Engerling-Konzert, aber die nach endlosen Streits 1996 gegründete Band Monokel Kraftblues sah ich in aktueller Besetzung noch nicht. Was ich vorher nicht ahnen konnte: ihr Auftritt sollte der absolute Höhepunkt des gesamten Festivals werden. Aber immer der Reihe nach … Als erstes trat die Gonzalo Portugal Band auf. Manche Konzertbesucher (so auch ich) glaubten zunächst, dass hier vier junge Männer aus Portugal spielen. Aber weit gefehlt. Gonzalo Portugal ist ein in Bilbao geborener Spanier aus dessen Heimatstadt auch die Band stammt. Mit seinen drei Mitspielern an den Drums, dem Bass und den Keyboards sowie dem Synthesizer spielte er einen sauberen und sehr dynamischen Bluesrock. Portugal glänzte mit zahlreichen virtuosen Gitarrenriffs, die die leider wieder nur spärlich erschienenen Festivalgäste sofort zu großem Beifall herausforderten. Die Band befand sich auf ihrer ersten Deutschlandtournee und spielte am Abend zuvor auf dem 15. Hörbar Blues Open Air in Milow an der Havel, einem in Insiderkreisen hoch gelobtes Festival. Nun folgten die Engerlinge. Die Blues-Kultfigur Wolfram Bodag an den Tasteninstrumenten, Heiner Witte an der Gitarre und Manfred Prockrandt am Bass. Wenn man der mit Augenzwinkern vorgetragenen Ansage Wolfram Bodags zum Titel „Narkose Blues“ Glauben schenken darf, erlitt der etatmäßige Schlagzeuger der Band beim Fahrradfahren einen Unfall und muss nun wohl zum Teil, wie im Text beschrieben, einen Krankenhausaufenthalt erdulden. So vertrat ihn am Schlagzeug als Gast Tobias Ridder. Er spielte in zahlreichen kleineren Bands, trat zuletzt in die Dienste der Kultband RENFT, als sich Detlef „Delle“ Kriese dort in den Ruhestand verabschiedete. Und nun auch noch als einspringender Ersatzmann bei Engerling und eine Stunde später trommelte er sogar auch noch bei Monokel Kraftblues. Die ersten Takte seines Schlagzeugspiels ließen sofort erkennen, warum er gerne von diesen drei Bands und anderen besetzt wird. Hier spielt ein absoluter Profi, der vom Blues bis zum Rock alle Stilrichtungen und Schattierungen perfekt beherrscht. Und die Engerlinge hielten, was sie versprachen: allerbesten Blues mit meist ostdeutschen Texten zu allen Themen, die das Leben in der Vergangenheit brachte und in der Gegenwart bringt. Neben dem schon erwähnten Narkose Blues gehörte natürlich „Mama Wilson“ zum absoluten Höhepunkt des Auftritts der Band. Mich fasziniert immer wieder, wie absolut textsicher, exakt artikuliert und stimmlich auf allerhöchstem Niveau Wolfram Bodag im Einklang mit seinem exzellenten Keyboardspiel agiert. Einfach fantastisch! Hinzu die wunderschönen und völlig unaufgeregt und wohl temperierten Gitarrenriffs und Soli von Heiner Witte. Das alles getragen von der hervorragenden Rhythmusabteilung mit Manfred Prockrandt und eben Tobias Ridder.
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2. Tag des 1. Rock & Blues Festival in Hartha (Sachsen), 19. August 2023
Direkt aus Milow war auch die Andreas Diehlmann Band angereist. Diehlmann stammt aus Kassel und ist der spiritus rector eines klassischen Bluesrock-Trios, dem 2022 der German Blues Award verleihen wurde. Ausgestattet mit diesem Preis gehört man ab sofort hierzulande zur Elite dieser Bands. Mit Diehlmann standen Jörg Sebald (Bass) und Tom Band (Drums) auf der Bühne. Über die Band konnte man in der Fachzeitschrift „bluesnews“ lesen: „Das ist sehr gut gemacht und knallt gewaltig…“. Man spielte fast ausschließlich englischsprachige Eigenkompositionen, vorwiegend von ihrer letzten LP „Long Way To Go“. Da stand ein „Powertrio“ auf der Bühne, dass dem Publikum durchaus sehr gut zu gefallen wusste. Für mich kam nun der Höhepunkt des Abends. Waren die Engerlinge eigentlich noch zu toppen? Ja, nach meinem Geschmack schaffte das an diesem Abend Monokel Kraftblues. In der Besetzung des 19. August 2023 spielte dort eine Bluesband, die sich gemeinsam mit dem Publikum fast in einen Rausch spielte. Das gesamte Publikum stand schon bei den ersten Takten direkt an der Bühne. Ich formuliere dann immer: Und dann hat es einfach „Bumm“ gemacht. Vom ersten Akkord an spielten dort vier Musiker, die dies mit absoluter Leidenschaft tun, die die Monokel- Texte leben und verinnerlicht haben und die sich gegenseitig zu Höchstleistungen antrieben. In der ersten Reihe platzierten sich die nun schon in die Jahre gekommenen Edelfans weiblichen und männlichen Geschlechts und sangen alle deutschen Texte völlig vortragssicher mit. Die randvollen Plastebecher mit Bier, die sich immer wieder wohl wie von Geisterhand von alleine füllten, stellte man wie selbstverständlich auf den vordersten Rand der Bühne. Mich beschlich immer wieder das angstvolle Gefühl, was wohl passieren würde, wenn sich eines der wohlgefüllten Biergefäße in „Lefty“ Gitarren-E-Pedalls ergießen würde. Ein monströser Kurzschluss und absolute Ruhe wären dann wohl eingetreten. Einer der Edelfans, über 1,90 m groß und mit entblöstem Oberkörper agierend, bei eintretender Dunkelheit immer noch mit einer extravaganten Sonnenbrille „bekleidet“ und von einer „hochmodischen Vokuhila-Frisur“ umrahmt, gefiel sich darin, mit dem Rücken zur Band stehend, eine saitenlose, edel aussehende, schwarze, wohl weit über 600 € teure Gibson-Epiphone-Les-Paul Gitarre zu malträtieren, um dann doch erkennen zu lassen, dass er nicht Gitarre spielen könne. Ab und zu vergnügte er sich, laut schreiend damit, die flüssigen Überreste seines Plastebierbechers noch oben zu werfen, um grinsend zuzuschauen, wie der eine oder die andere von der unerwarteten Dusche überrascht wurde. Liebend gerne hätte ich ihm das teure Instrument einfach entwendet (vielleicht hätte er es mit 3,0 Promille auf dem Kessel gar nicht bemerkt), weil ich mir so ein feines Instrument selbst wohl gar nicht leisten würde. Aber das wäre dann wohl doch nicht gut angekommen … Zurück zum Konzert. Alle wohlbekannten Titel von Kraftblues wurden gespielt (Monster vom Schilkinsee, Schwarze Marie, Bye bye Lübben City und viel andere), alle in einer dramaturgisch sehr gut ausgewählten Reihenfolge, so dass das Konzert von Höhepunkt zu Höhepunkt emporstieg. Mich hat ein Konzert selten so mitgerissen, wie dieses. Entscheidend trugen dazu die beiden Gitarristen bei. Der eine, die Blueslegende Michael „Lefty“ Linke, fühlte sich auch bei so wenig erschienenen Konzertzuhörern pudelwohl. Man merkte, dass ihm das wohl fast egal ist, er spielt und lebt den Blues. Der andere, von “Lefty“ ein wenig despektierlich mit „Na, der Paul, der wird mal was…,“ Vorgestellte, ist der eigentlich nicht Paul heißende, vorzügliche Gitarrensolist Martin Fankhänel. Ein junger Musiker, der seinem Vorbild „Lefty“ schon „das Wasser reichen“ kann. Dazu ist er noch mit einer exzellenten Stimme ausgestattet, die jeden Titel, den er mitsang, zum Genuss werden ließ.
Es wurden noch viele Zugaben gespielt, ehe dieser herrliche Konzertabend mit vier tollen Bands zu Ende ging. Das hier eine der besten Bluesbands spielte, die es wohl hierzulande gibt, war auch daran zu erkennen, dass alle Musiker der Gonzalo Portugal Band staunend, manchmal sogar mit offenem Mund dastehend, das Monokel Kraftblues Konzert mit Hochachtung beobachteten. Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstalter/innen, von denen wir einige auf dem Fantreffen von Hans Wintoch eine Woche später wieder trafen, sich von der wenigen Zuschauerzahl nicht davon abhalten lassen, doch ein zweites Blues & Ostrockfestival für das Jahr 2024 auf der Freilichtbühne in Hartha zu organisieren.
Bericht: Rüdiger Schütz / Fotos: Antje Schure