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04.03.2023 Berlin - 50 Jahre Hans die Geige
Bericht: Rüdiger Schütz // Fotos: Antje Schure
Wieder einmal erwies das Hotel und Restaurant „Neuhelgoland“ in Berlin seinem
selbstgewählten Namen als „Das Paradies des Ostens“ alle Ehre. Der dortige Saal
bietet 300 Ostmusikfans Platz und im Flyer des Unternehmens lesen wir: „Hier
rockten und rocken fast alle großen Künstler der DDR …“. Dem kann man ungeteilt
zustimmen. Am 3. März 2023 luden „Quaster & Friends“ ein.
Einen Tag später wurde das erste Konzert des Rockgeigers „Hans, die Geige“ zu
Ehren seines 50jährigen Bühnenjubiläums mit vielen Gästen angekündigt. Vor
beiden Konzerten wuchs somit die Spannung, wer da alles als Gäste erscheinen
könnte.
50 Jahre Rockgeiger - was für eine Musikerkarriere
Neu Helgoland: das „Paradies des Ostens“
Fällt der Begriff Rockgeiger, kommen sofort Namen wie Georgi Gogow von City und
Uwe Hassbecker von Silly ins Gespräch. Erstgenannter gilt als Teufelsgeiger und ist
natürlich mit dem Megahit „Am Fenster“ einem Millionenpublikum bekannt. Bei Uwe
Hassbecker, unter Musikerkollegen nur „Hasbe“ genannt, wissen Musikinteressierte
sofort, dass er einer der besten Rockgitarristen ist und zusätzlich bei einigen Songs
zur Geige greift, bei Hans Wintoch, genannt „Hans, die Geige“, muss man schon
eingefleischtere Ostmusikfans ansprechen, damit denen der Name sofort etwas
sagt.
Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass das angekündigte Jubiläumskonzert
restlos ausverkauft war und sehr viele der Anwesenden den Jubilar persönlich kannten.
Vor und nach dem Konzert nahm er sich sehr viel Zeit, verweilte fast an jedem Tisch
und führte in seiner natürlichen und unnachahmlichen Art unzählige Gespräche,
gewürzt mit vielen Geschichten und Storys aus goldenen Musikerzeiten aber auch kaum
fassbaren Ereignissen aus den heute für Künstler unsagbare schweren Zeiten im vereinten
Deutschland.
Hans reiste schon am Freitag an, sah und hörte mit größtem Vergnügen das Konzert
von Quaster. Aber schon am Samstagvormittag ging es zur Sache. Bis kurz vor dem
Konzert wurde intensiv geprobt und der heimliche Beobachter konnte sehen, welche
Fachkolleginnen und Fachkollegen dem Rockgeiger am Abend auf der Bühne
beistehen würden. Das versprach ein formidabler Ostrockmusikschmaus zu werden!
Meine Vorfreude wuchs von Stunde zu Stunde.
Das Jubiläumskonzert begann mit einem Einspiel unter dem Motto „Das alles bin
ich“ und brachte dem Publikum die Wandlungsfähigkeit des Musikers Hans Wintoch
und dessen Stationen im Musikgeschäft nahe. An renommierten staatlichen
Musikschulen ausgebildet zog es ihn, sehr zum Leidwesen seiner Lehrer, sehr bald
von der sogenannten E-Musik zur Rock- und Popmusik.
Den Start seiner langen Karriere gibt Hans mit dem Jahr 1968 und der Amateurband
„Harzgeister“ an.
1975 folgte die Profiband „Schubert-Formation“, 1978 ging er zu „Report“, von 1979
bis 1981 lautetet die Stationen Distelmann, die Gruppen „Magdeburg“, „Reform“ und
„Kleeblatt“. 1984 spielte er kurze Zeit u.a. bei „Lift“ bevor er danach seine lange
Solokarriere startete.
Hans musizierte auch für Dagmar Frederic und Frank Schöbel und viele andere.
Im zweiten Teil des Konzerts konnten alle aufmerksamen Zuhörer/innen vernehmen,
dass er eine sehr gute klassische Ausbildung genoss und auf diesem Gebiet ein wahrer
Meister ist (Die Moldau, Klassik II und III).
Ich gebe zu, dass in all diesen Jahren der Musiker Hans Wintoch nie so ganz im
Zentrum meiner Beobachtungen innerhalb des Genres Ostmusik stand. Ich wusste,
dass er neben Gogow und Hassbecker zu den besten Rockgeigern hierzulande
zählte.
Dies änderte sich für mich 2018 schlagartig, als ich die ersten Titel der neugegründeten
Band „SCHARFSCHWERDTS NEULAND“ hörte. Die kurz darauf veröffentlichte CD
„Made in Europe“ gehört zu der von mir seitdem am häufigsten gehörten CD.
Ja, ich lehne mich jetzt noch weiter aus dem Fenster heraus und behaupte, dass diese
CD zum Allerfeinsten und Besten der deutschsprachigen Rockmusikszene Deutschlands
der letzten zehn Jahre gehört! Was hier an spannender, pulsierender Musik und in der
Zusammensetzung der Band mit musikalisch und stilistisch neuen Elementen geboten wird,
ist einzigartig.
Bei einem der letzten Konzerte mit Hans in Jena im Jahre 2022, sagte er mir auf
meine Frage, ob das Projekt Scharfschwerdts Neuland mit dem tragischen Tod von
Klaus Scharfschwerdt beendet sei, dass er es gerne fortführen würde. Und hier zum
Jubiläumskonzert im Neu Helgoland ging mein Wunsch in Erfüllung: Hans spielte die
Titel „Nah, so nah“, „Shuffle“ und „Flieg mit mir“ von o.g. CD „Made in Europe“ und
sogar einen neuen Titel: „Das Licht erwacht“. Super! Glänzend!
Von der alten Besetzung der Band spielten neben Hans Sylvia EULITZ (Cello),
Thomas GLATZER (Gitarre und Keyboards). Am Schlagzeug neu hinzugekommen ist
Ralf PESTEL und Thomas Glatzers 17jähriger Sohn Hans am Bass, beide ergänzten
die Band. Dazu die fabelhafte Stimme von Hans, die ich in dieser Konstellation als einmalig
einstufen würde.
Ich war begeistert und geradezu euphorisiert. Nach dem Konzert fragte ich Hans, ob in
dieser Besetzung die Band eine Perspektive habe. Er antwortete, dass er dies die Zuschauer
entscheiden lassen würde.
Dem Beifall zufolge, der in diesem Konzert erklang, müsste es bald wieder ein
Konzert der Neuland-Band geben! Nicht nur ich würde es mir sehr wünschen. Denn
die 2019 veröffentlichen CD mit ihrer tollen Musik kennt nach wie vor kaum jemand,
wie verschiedene Gespräche an den Tischen ergaben.
Logisch, denn nach zwei Jahren Coronapause, der weiter anhaltenden konstanten
Blockade aller Ostrockgruppen in (fast) allen Medien der Bundesrepublik und der
dann schockierenden furchtbaren Nachricht, dass Klaus Scharfschwerdt den Kampf
gegen den heimtückischen Krebs doch verloren hatte, beendeten (vorerst) das
Projekt der neuen Band.
Der dritte Teil des Konzerts war ganz dem Instrument Geige vorbehalten. Ich hatte ja
schon am Nachmittag, bei den Proben erspäht, dass Uwe Hassbecker zum Konzert
auftreten würde. Es kamen aber noch zwei weitere Spezialisten der Violine zum
Auftritt: Attila Raduna und Ally Storch von Subway To Sally.
Mit vier Geigenspielern/innen strebte der Abend seinem Höhepunkt zu.
Als jahrzehntelanger Fan der Band Omega konnte es natürlich keinen schöneren
Abschluss dieses tollen Jubiläumskonzerts als einen Titel dieser legendären ungarischen
Band geben. Ich wusste, dass einer der Lieblingssongs von Hans „Gyöngyhajú lány“
(Perlenhaarmädchen, auch als „Schreib es mir in den Sand“ bekannt) ist. Und sie
spielten es zu viert. Besser geht nicht, Gänsehautgefühl.
Ein tolles, ein unvergessliches Konzert eines überragenden Musikers ging so zu
Ende. Lieber Hans, wir wünschen dir die Kraft, dass du auch ab dem 51. Jahr deiner
großen Musikerkarriere noch viel tolle Konzert geben kannst! Zahlreiche Zuschauer,
mich natürlich eingeschlossen, sind dir in Zukunft gewiss!