Anawa
Nachruf auf Marek Grechuta
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Liebe Lieder Freunde,
In der letzten Nacht habe ich beim Surfen erfahren, dass ebenfalls am 09.Oktober
2006 der großartige polnische Künstler Marek Grechuta in Krakow verstorben ist.
Alle, die mehr über ihn wissen wollen, mögen dann bitte unten weiter lesen. Er ist
mir diese Ausführlichkeit wert.
Serdecznymi pozdrowieniami! (Mit herzlichen Grüßen!) Konstanze
Voran nur der Hinweis: Ich habe bewusst die polnischen Buchstaben ignoriert, damit
Ihr nicht zu viele Hieroglyphen im Text habt.
Jenen unter uns, die sich ein wenig in der osteuropäischen Lied- und Rockszene
auskennen, ist Marek Grechuta vor allem als Sänger und Komponist bekannt.
Rockpoet, Kabarettist, Liedermacher sind Versuche einer Einordnung. Außerdem
war er Lyriker, Philosoph, Maler, Bildhauer… Marek Grechuta war eine der
wichtigsten Persönlichkeiten der polnischen „Unterhaltungsmusik“ im letzten Drittel
des 20.Jh. Die Entwicklung der polnischen Liedkultur dieser Zeit hat von ihm
wesentliche Impulse erhalten. Musikalisch passt er – wie andere wichtige polnische
Musiker auch - in keine Schublade. (Die deutsche Einteilung in Rocker,
Liedermacher, Chansonnier etc. ist in Polen sowieso völlig unbekannt. Dort nennt
man es einfach „Gesungene Poesie“.)
Bei Marek Grechuta mischen sich Einflüsse des Chansons und des progressiven
Rock mit Jazz, politischem Lied und auch mit den polnischen Volksliedtraditionen.
Eigene Kompositionen überwiegen, doch arbeitete er auch eng mit anderen
erstklassigen Komponisten zusammen. Vom Kabarett kommend beherrschte er so
ziemlich die ganze Bandbreite vom leisen Liebeslied bis zur bissig-ironischen
Moritat, liebte aber besonders die lyrischen Balladen. Viele Texte schrieb Grechuta
selbst, vertonte aber auch Gedichte wichtiger polnischer Lyriker der letzten 200
Jahre (u.a. Adam Mickiewicz, Julian Tuwim, Stanislaw Wyspianski, Stanislaw I.
Witkiewicz). Thematische Vielfalt ist auch hier garantiert. Und wer die Texte versteht,
genießt den oft ironischen Unterton, der durch die Musik so genial unterstrichen
wird, dass auch der nicht des Polnischen Mächtige ahnt, worum es geht und
durchaus seinen Spaß hat.
Marek Grechuta wurde 1945 in der Stadt Zamosc geboren, erhielt bereits als Kind
eine Klavierausbildung und studierte dann am Politechnikum in Kraków Architektur.
Dort gründete er Ende 1966 u.a. mit Jan Kanty Pawluszkiewicz – auch dieser wurde
einer der wichtigsten Musiker und Komponisten Polens – das „Architektenkabarett
Anawa“ (verballhornt vom franz. en avant – nach vorn, vorwärts). Bereits m Januar
1967 debütierten sie und gewannen noch im selben Jahr mit dem „Tango Anawa“
auf dem VI. Festival des Studentenliedes in Kraków den 1. Preis für das beste
Arrangement. Zugleich erhielt Marek einen 2. Preis in der Sparte Vokalisten,
überrundet nur von Maryla Rodowicz.
Die Kabarettkollegen mutierten bald zur Begleitband und als „Marek Grechuta &
Anawa“ errangen sie bereits 1968 den Journalistenpreis beim „Festival des
Polnischen Liedes“ in Opole mit dem Titel „Das Herz“. Schon damals wurden diese
Veranstaltungen live landesweit im Rundfunk übertragen und erreichten damit ein
Riesenpublikum. Danach regnete es Auftrittsangebote und die erste LP wurde
eingespielt (sehr empfehlenswert!). Sehr ungewöhnlich war die Besetzung des
Ensembles – drei Geigen, eine Gitarre und Piano, ergänzt ggf. durch Blockflöte oder
Percussion. Sie trug wesentlich zur Unverwechselbarkeit der Band bei. 1969 folgte
in Opole der Preis des Polnischen Fernsehens für das Lied „Hochzeit“ nach einem
Text des international bekannten polnischen Jugendstilmalers und –schriftstellers
Stanislaw Wyspianski. Zweimal gelang es Grechuta dann, in Opole den Grand Prix
zu holen – 1971 und 1977.
Mit den 1972 deutsch eingesungenen Liedern „Wichtig sind Tage, die unbekannt
sind“ und „Unsere Welt“ wurden Grechuta & Anawa auch in der DDR bekannt. 1974
erschien dann „Glaube daran“
Und die in Polen erschienenen LP’s waren seinerzeit begehrte Objekte in den Läden
der Polnischen Kulturzentren in Berlin und Leipzig.
1972 trennte sich Grechuta von Anawa. Die Kollegen versuchten es einige Zeit ohne
ihn, bis sie „Anawa“ im Herbst 1973 auflösten (Die Musiker allerdings prägten dann
andere führende Bands in Polen). Mit seiner neuen Gruppe „Wiem“ (übersetzt „ich
weiß“, eigentlich soll es aber die Abkürzung von „In einer anderen Musikepoche“
sein) spielte er dann eine seiner erfolgreichsten Platten ein – „Die Magie der
Wolken“.
Nach Mitte der 70er bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre arbeitete Marek
Grechuta dann sehr eng mit dem Kabarett-Keller „Zu den Widdern“ (Piwnica pod
Baranmi“) in Kraków zusammen. Dieser ist immer noch das wohl wichtigste Zentrum
der polnischen Kabarett- und Liedkunst. Konzerttourneen führten ihn in viele Länder
Europas, nach Amerika und Australien. In den 90ern wurde es dann wesentlich
ruhiger um Marek Grechuta. Wenn ich nicht irre, hat er zeitweise sogar in Australien
gelebt.
Obwohl Grechuta in Polen einer der bekanntesten Musiker war, erhielt er erst 2001
seine erste und bis heute einzige „Goldene Schallplatte“ für den Sampler „Wichtig
sind Tage…“ (veröffentlicht in der „Goldenen Kollektion“, die ich allen empfehlen
kann, die nicht immer von jedem Künstler mehrere Platten haben wollen, sondern
manchmal mit einem sehr gut ausgewählten Querschnitt zufrieden sind.
Dort findet man außerdem echte Raritäten.)
Die Ursache für diese späte und einzige Vergoldete dürfte darin begründet sein,
dass Grechutas Schallplatten trotz seiner Popularität auch in Polen echte Bückware
waren.
2003 erschien dann seine letzte CD „Ungewöhnliche Orte“ (Mindestens vier Sterne!).
Hier stellt er in eigenen Liedern immer abwechselnd polnische und internationale
Plätze/Städte vor, die ihn beeindruckt haben, z.B. Oper Sydney, Athen, New York,
Zakopane, Kazimierz und natürlich Kraków.
Während des 43. Festivals des Polnischen Liedes in Opole im Juni dieses Jahres
wurde Marek Grechuta mit dem Grand Prix für sein Lebenswerk geehrt. Neben
einem Galakonzert, auf dem Kollegen seine Lieder sangen, wurde ihm eine neue
Platte in der „Allee der Sterne des Polnischen Liedes“ auf dem Marktplatz in Opole
gewidmet. Er selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen schon nicht mehr daran
teilnehmen und ließ sich durch eine Marionette (und durch seine Frau) vertreten.
Marek Grechutas Tod am 9. Oktober kam nach Aussage von Jan K. Pawluszkiewicz
trotzdem für alle überraschend.
Konstanze (2006)
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